Die sieben Geheimnisse der Gutenbergschule

1. Warum kann man die beiden großen Schuluhren gar nicht richtig sehen?

Die meisten kennen sie gar nicht – die beiden hoch oben hängenden Schuluhren am Südeingang und auf der anderen Gebäudeseite. Im Jahr 1903 die eine fertiggestellt, die andere zwei Jahre später, weil der südliche Gebäudeteil erst dann rangebaut wurde. Steht man vor der Schule, muss man seinen Nacken schon ganz schön strecken, um die Uhren zu sehen, weil man nie einen freien Blick von weiter her auf sie hat. Eine Fehlkonstruktion? Nein, vielmehr fielen die beiden Schuluhren füher ins Auge, weil die Haupteingänge der Schule direkt auf sie zuführten. Wo heute das Sportfeld und dichtes Gebüsch ist, war früher eine große Steintreppe von der Biegung des Gutenbergplatzes hoch zur Schule und auch der Eingang auf der anderen Seite führte von dem Windrosenmosaik direkt auf die Eingangstüren zu, eine Autoeinfahrt gab es nicht. Damals wussten alle Schüler, welche Stunde geschlagen hatte – man konnte es von weither sehen.

2. Warum gibt es auf den Säulen in den Fluren unterschiedliche Kapitelle?

Die Gutenbergschule ist die Schule der Säulen. Da sie rund sind, kann man sich an ihnen wenigstens nicht schlimm verletzten. Und die knubbeligen Kapitelle sind sehr hoch angebracht. Wer genau hinschaut, wird im Schulgebäude erkennen, dass es zwei Typen von Säulenabschluss gibt: Die einen sehen so aus wie für Wappenschilder gedacht, die anderen wie ein Kranz von herumgelegten Rohren, weitaus weniger aufwändig. Beide Säulentypen mischen sich nicht, sondern kommen in nördlichen Teil und im südlichen auf allen Etagen vor. Die Säulenkapitelle sind sichtbareste Zeichen dafür, dass unsere Schule einmal geteilt war: erst in eine Mädchen- und Jungenschule, dann in ein humanistisches und ein Realgymnasium. Die Grenze zwischen beiden wird heute noch an den Gängen erkennbar, die ganz in der Mitte der Flure keine Gewölbedecken mehr haben, sondern nur noch runde. Da stand früher eine Mauer in der Mitte, die Jungs und Mädchen trennte – also so unterschiedliche Welten, dass auch die Innendekoration verschieden war.

3. Warum hatte die Schule einen Weinkeller?

Nein, nicht für die großen Pausen oder die Feste der Lehrer. Auch handelt es sich nicht um einen Ort der Tränen für unfolgsame Schüler. Mitten unter der Aula, in ihrer Mitte, liegt eine Gewölbekeller, der von vornherein als Weinkeller geplant war. Wer denkt, dass der Keller dem Schuldirektor zustand, den muss man auch enttäuschen. Vielmehr wurden um 1900 fast alle großen öffentlichen Gebäude mit tiefen Fundamenten mit solchen Weinkellern ausgestattet. Selbst die Marktkirche hat einen, und das nicht für den Messwein. Es waren die knappen Lagerkapazitäten der städtischen Weingüter. Und eine städtische Schule gab da ein gutes Außendepot ab. Leider haben wir keine eingemauerten alten Weinbestände mehr im Keller gefunden – die werden irgendwann einmal geplündert worden sein, vielleicht sogar von Schülern.

4. Warum gibt es in den Obergeschossräumen (z.B. 417) zugemauerte Türen?

Manche Türen führen ins Leere, in einigen Zimmern im 4. Stock gibt es verplombte Wasserrohre. Irgendwie hat man das Gefühl des Provisorischen, wenn man die engen Treppen hochkeucht. Als die Schule 1933 umgebaut wurde, hat man diese Räume erst hinzugenommen. Vorher waren sie nämlich großzügige 5-Zimmer-Wohnungen mit Badewanne, Abstellkammern und einem 40 qm großen Wohnzimmer. Dort oben lebte aber weder der Schulleiter noch andere Lehrer oder Referendare wie bei preußischen Schulen sonst üblich – nein, die mehr als 130 qm großen Wohnungen waren dem Hausmeister (Nordbau) und dem Heizer (Süden) zugedacht. Eine normale Etagenwohnung am Ring umfasste 250 bis 280 qm, sodass diese Dachverschläge sich geradezu mikrig ausnehmen. Mit dem Heizer, der die Kessel mit Koks füllen musste war das ständige Pendeln in den Keller sicherlich auch kein Zuckerschlecken. Einen Fahrstuhl sucht man in der ganzen Gutenbergschule vergebens.

5. Warum gibt es im Altbau so wenige Toiletten?

Ein heikles Thema. Dabei sind es doch gar nicht zu wenig, ist behördlich vorgeschrieben, alles korrekt. Als Genzmer diese Schule entwarf achtete er sehr auf Hygiene und Sauberkeit, sodass in jeder Etage Toiletten vorgesehen waren und zwar rechts und links der Treppenhäuser um die Aula. Die beiden kleinen Unterrichtsräume zum Schulhof hin waren auf den beiden oberen Stockwerken Toiletten. Auch gab es in der heutigen Hausmeisterwohnung Aborte und auch im ersten Stock (heute Lehrertoiletten). Auch die Räume gegenüber dem Kunstsaal waren für das Austreten gedacht. Warum so viele Klos? Jede Klasse fasste damals nicht 30, sondern ungefähr 50 Schüler, weshalb ein viel größere Gesamtanzahl nötig war.

6. Warum ist die Akustik in 310 so schlecht?

Dieser Raum war einst ein großer Turnsaal und von seiner Bestimmung nicht für den Unterricht gedacht. Auch wenn es heute manchmal so trampelt, dass man an diese Zeiten erinnert wird, käme doch niemand ernsthaft auf die Idee, dort Leibesübungen abzuhalten. Schon 1934 wurde der Raum als Klassensaal genutzt, eine Wand konnte man aus statischen Gründen nicht einziehen. Die ersten Beschwerden lassen nicht auf sich warten. Ein Oberstudienrat beschwert sich, dass ein Unterrichten angesichts seiner „zivilen Stimme“ kaum möglich sei. Im Jahr 1957 gingen Experten der Firma „Hall Ex“ ans Werk, die mit einer schallschluckenden Decke das Echo austreiben sollten. Einige Tausend DM hat der Spass gekostet – allein um festzustellen, dass es rein gar nichts gebracht hat und auch die beste Dämmung nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass es sich nicht um ein Klassenzimmer, sondern einen Turnsaal handelt. Seitdem hat die Gutenbergschule eine Verbesserung aufgegeben.

7. Was befindet sich eigentlich unter dem großen Dach der Schule?

Die alten Abiarbeiten, Produkte des Kunstunterrichts vergangener Jahrzehnte, alte Schulbänke, alte Klassenräume sogar, hunderte Taubenleichen? Eine Ortsbegehnung bringt die Lösung: nichts, rein gar keine Funktion kommt dem voluminösen Dach der Gutenbergschule zu, sie ist – wie auch beim Riesendach der Lutherkirche – allein dem architektonischen Konzept geschuldet, das verschwenderisch aufwändig ist. So verschwänderisch, dass das Dach für nichts anderes nutzbar ist. Vielleicht kann ja die nächste Erweiterung der Schule nicht in einem Blechbarrakendorf neben dem Erweiterungsbau erfolgen, sondern in Form von Cabrio-Klassen unter dem Dach mit Freisitzen, viel Glas und Sonne? Keine gute Idee? Findet der Denkmalschutz sicher auch.